Ausgerechnet Schmitt 11FREUNDE

1993 war kein einfaches Jahr fr mich. Ich war noch sehr klein, man hatte mir erzhlt, dass der Weihnachtsmann nicht existierte und mein Verein war Eintracht Frankfurt. Die Eintracht fhrte zwar souvern die Tabelle an und ich liebte sie hei und innig; sie hatte mir im Vorjahr aber auch gezeigt, wie hsslich dieser Sport sein

1993 war kein ein­fa­ches Jahr für mich. Ich war noch sehr klein, man hatte mir erzählt, dass der Weih­nachts­mann nicht exis­tierte und mein Verein war Ein­tracht Frank­furt. Die Ein­tracht führte zwar sou­verän die Tabelle an und ich liebte sie heiß und innig; sie hatte mir im Vor­jahr aber auch gezeigt, wie häss­lich dieser Sport sein kann, als das Team um Uwe Bein und Kon­sorten die sicher geglaubte Meis­ter­schaft gegen bereits abge­stie­gene Ros­to­cker ver­geigt hatte. Ein ein­schnei­dendes Erlebnis, dass mich im Gefühl einer tiefen Skepsis zurück­ge­lassen hatte, den mit­rei­ßenden Spielen der Ein­tracht als auch dem Fuß­ball als Ganzes gegen­über. Auf kind­liche Weise war ich ernüch­tert, ich traute meinem Hobby nicht mehr. Wie konnte es sein, dass all das, was ich so bedin­gungslos liebte, mir so wehtun konnte. Wie konnte ich je wieder an die Liebe zu diesem Sport glauben? Ja, an den Sport selber? Oder an die Liebe?

Ein Wunder musste her. Und ein Wunder kam. Im klatsch­nassen, von Regen, Dreck und Gras getränkten Trikot des Edgar Schmitt.

Vor 30 Jahren fegte der Karls­ruher SC im UEFA-Cup den FC Valencia mit 7:0 vom Platz. Die Prot­ago­nisten des Jahr­hun­dert­spiels über raf­fi­nierte Psy­cho­t­ricks, eine per­fekt abge­krei­dete Tor­linie und einen Tor­jäger, der dem Tod ins Auge geschaut hatte.

Zur Reportage:

Ich kannte Schmitt und mochte ihn. Er hatte bei Frank­furt gespielt, ab und an ein Tor geschossen und trug einen Namen, der in meinen Ohren wie der eines Pri­vat­de­tek­tivs aus einer Fern­seh­serie klang, die ich nicht gucken durfte. Auf eine spie­ßige Art und Weise auf­re­gend. Schmitt war vor der Saison zum Karls­ruher SC gewech­selt, was für mich ok war, denn selbst meinem Kind­heits-Ich war bewusst, dass er zwar ganz gut, aber eben doch nicht so gut wie die Frank­furter Stürmer war. Ich mochte auch den KSC. Irgendwie, zumin­dest. Ich mochte Manni Bender und auch Dirk Schuster, warum, weiß ich nicht mehr. Einzig Sergej Kiriakow war mir irgendwie unan­ge­nehm, dem Rest stand ich unvor­ein­ge­nommen gegen­über.

Das Spiel selbst war eher eine Mög­lich­keit, länger auf­zu­bleiben. Ging es um Fuß­ball, galten im Hause Reich immer Son­der­re­geln und wer weiß, wie sehr diese Extra­würste dazu bei­getragen haben, dass ich jetzt hier sitze und über Fuß­ball schreibe. Als also der Mitt­woch­abend im nass­kalten November zu däm­mern begann, ließ ich mir von meinem Vater den Euro­pa­po­kal­a­bend absegnen und lüm­melte mich mit einer Schale Corn­flakes vor die Glotze, wäh­rend im Karls­ruher Wild­park­sta­dion die Flut­lichter angingen. Der KSC hatte das Hin­spiel gegen die favo­ri­sierten Spa­nier mit 1:3 ver­loren, die Chancen auf ein Wei­ter­kommen waren dem­entspre­chend gering. Zumal bei Valencia Spieler spielten wie Sem­pere, Cama­rasa, Alvaro und Quique. Über deren fuß­bal­le­ri­sche Qua­li­täten war ich mir im Unklaren, aber so kli­schee­hafte Fuß­bal­ler­namen kannte ich nur aus dem alten Panini-Heft meines Bru­ders oder von meinem Super Nin­tendo. Die mussten gut sein, wenn nicht unschlagbar.

Hier pas­sierte gerade etwas

Waren sie aber nicht. Nach etwa einer halben Stunden ver­wer­tete Edgar Schmitt eine Flanke von Manni Bender zum 1:0. Aus­ge­rechnet Schmitt“, japste Kom­men­tator Jörg Dah­l­mann, und wies darauf hin, dass sich Schmitt bei einem Auto­un­fall wenige Tage zuvor volle vier Mal über­schlagen hatte. Fas­zi­niert davon, dass man derart viele Über­schläge über­leben und anschlie­ßend auch noch Fuß­ball spielen konnte, stellte ich den Auto­un­fall und die Loo­pings auf der hei­mi­schen Couch nach. Schmitt legte zum 2:0 nach und ich setzte mich wieder hin. Hier pas­sierte gerade etwas.

Nach Schmitts Auf­takt spielte der KSC die Spa­nier in Grund und Boden. In einer unglaub­lich hohen Tak­tung fielen die Tore. 29. Minute, 34., 37., 46. Minute, 4:0 für Karls­ruhe. In der 59. Minuten segelte ein Frei­stoß in den Straf­raum von Valencia, den Schmitt ins Tor nickte. Er riss die Arme weit vom Körper, warf den Kopf in den Nacken, rannte jubelnd über das Spiel­feld und wirkte dabei wie besessen und beseelt zugleich. Im Flut­licht des Wild­parks sah es aus, als würde er leuchten. Aus­ge­rechnet Schmitt, der Unfall­fahrer, der Halb­tote. Keine vier Minuten später lief Schmitt in einen Steil­pass, zog aus zwanzig Metern ab und traf zum 6:0. Das ist nicht mög­lich. Das ist unfassbar!“. Dah­l­mann eska­lierte. In der Zeit­lupe sah man, dass der ruhig rol­lende Ball im Moment des Schusses einige wenige Zen­ti­meter vom Boden absprang und Schmitt ihn des­wegen so per­fekt traf. Konnte das noch Zufall sein? Höhere Macht? Ein Wunder? Und: Was war der Unter­schied?

Alles ist mög­lich in diesem Sport

Slaven Bilic legte in der 90. Minute noch nach, der KSC gewann mit 7:0 und die Spieler lagen sich fas­sungslos in den Armen. Vom Wunder vom Wild­park“ war die Rede und von Euro-Eddy“, der gerade das Spiel seines Lebens gemacht hatte. Auch ich war fas­sungslos. Alles ist mög­lich in diesem Sport, erfasste es mich. Im nega­tiven wie im posi­tiven Sinne. Das ist viel wert, auch wenn es mit­unter sehr, sehr weh tut.

Die tiefe Skepsis gegen­über dem Fuß­ball bin ich nie los­ge­worden. Die letzten 30 Jahre mit der Ein­tracht haben sie eher gefes­tigt. Auch wenn die wahr­haft großen Spiele, die Dramen von his­to­ri­schem Ausmaß, nur alle Jubel­jahre mal pas­sieren. Aber sie pas­sieren! Eine Ein­sicht, die überaus tröst­lich ist. Und die ich auch Euro-Eddy“ Schmidt ver­danke.

Dieser Text stammt aus unserem Archiv. 

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